Wie letzte Woche angekündigt ergibt der MBTI für mich ehrlich gesagt erst richtig Sinn, wenn man in die Details geht.
Kurz erklärt: Die Buchstaben S N T F gibt es eigentlich in zwei Ausführungen. Es macht einen Unterschied, ob man diese Funktionen internalisiert oder externalisiert (bzw. introvertiert oder extrovertiert).
Ein Beispiel: Person A und Person B sind beide Sensors. Aber:
- Person A liebt Action, braucht Action. Er ist Kletterlehrer und ständig auf Achse. Hier Rafting, dort Paragliding. Sein Lebensstil braucht eine schnelle und präzise Wahrnehmung seiner Umwelt (und die hat er auch).
- Person B braucht die Action nicht. Sie ist Restaurateurin und liebt die kleinen Details. Ihre Hobbies neben dem Job sind die Malerei und kulturelle Reisen, und die hat sie schon seit Kindheit an.
Der Unterschied zwischen den beiden ist: Person A externalisiert das Sensing (das S bekommt hier ein kleines e dazu: Se), also sein Sensing interagiert besonders mit der Außenwelt, Person B internalisiert es (Si), diese Sensing-Funktion interagiert besonders mit der Innenwelt.
Die kognitiven Funktionen
Die Funktionen sind also nun im Detail: Se/Si, Ne/Ni, Te/Ti, Fe/Fi.
Im Internet auch unter cognitive functions bekannt.
Hier eine kleine Übersicht:
Se ist extrovertiertes Sensing: Se nimmt seine Umwelt sehr klar wahr: Lichter! Farben! Formen! Geräusche! Glitzer! Geschwindigkeit! Se lebt im Hier und Jetzt, Handelt sofort. Se geht Risiken ein und liebt Action.
Si ist introvertiertes Sensing: Si vergleicht ständig die Gegenwart mit der Vergangenheit und nimmt kleine Details sehr genau wahr. Si sammelt sowohl Erfahrungen (die ständig mit bisherigen abgeglichen werden), als auch praktisches Wissen bzw. Wissen, das praktisch angewendet werden kann.
Ne ist extrovertierte iNtuition: Für Ne ist die Zukunft immer eine Explosion an Möglichkeiten. Neue Ideen sind sein Antrieb, alle Möglichkeiten vor sich zu haben, macht Ne glücklich, Langweilt sich aber auch schnell.
Ni ist introvertierte iNtuition: Ni hat für die Zukunft eher ein bestimmtes Ziel vor Augen, eine bestimmte Vision, die anvisiert wird. Ni sammelt Informationen und Wissen wie ein neurotischer Schwamm, der nie voll ist. Ni weiß Dinge oft einfach, ohne sagen zu können warum oder woher.
Fe ist extrovertiertes Feeling: Fe nimmt Emotionen von anderen sehr stark wahr (oft sogar stärker als die eigenen), lässt sich leicht mitreißen und auch leicht runterziehen. Fe orientiert sich stark an den die Person umgebenden Werthaltungen. Fe heult eher, weil es mit den Gefühlen anderer so mitfühlt, als dass es wegen eigenen Gefühlen weint.
Fi ist introvertiertes Feeling: Fi hat ein reges Gefühlsleben, das allerdings nicht so sehr nach außen gelangt – auch, weil Fi sich schwer tut, seine reichen Emotionen zu artikulieren. Gefühle sind für Fi-User eher sehr privat, aber auch sehr unabhängig von anderen. Dinge sind für Fi völlig unabhängig vom sozialen Umfeld richtig oder falsch.
Te ist extrovertiertes Thinking: Te wendet Logik nach außen an: Organisation, Ordnung, Effizienz, Umsetzung. Fakten.
Ti ist introvertiertes Thinking: Ti wendet Logik nach innen an. Will immer wissen, wie und warum etwas funktioniert. Analysiert alles.
Du findest hier eine gute Übersicht über die Funktionen. Wenn du besser verstehen willst, was die jeweiligen intro/extro Versionen unterscheidet, gibt es hier kurz und knackig die Erklärungen:
Sensing: Se vs. Si
Intuition: Ne vs. Ni
Feeling: Fe vs. Fi
Thinking: Te vs. Ti
Zusammenspiel der kognitiven Funktionen
Alle Menschen verwenden alle diese Funktionen. Allerdings unterschiedlich stark.
Ein INTP verwendet zum Beispiel, abgestuft nach Stärke: Ti Ne Si Fe Te Ni Se Fi.
Die erste Funktion (auch dominant function genannt, hier also ein Ti-dom) ist die am Stärksten ausgeprägteste, die auch stark die Identität dieser Person ausmacht.
Die 2. Funktion (auxiliary, hier: Ne-aux) und die 3. Funktion (tertiary; hier: Si) sind schon nicht mehr so ausgeprägt, aber trotzdem fleißig in Nutzung, die 4. Funktion (inferior; hier: Fi) arbeitet meistens eher ungeübt und sehr im Hintergrund. Da die 4. Funktion schon so patschert ist, sind die restlichen 4 Funktionen (auch Schattenfunktionen genannt) schon gar nicht mehr identitätsstiftend – man verwendet sie höchstens ganz selten, wenns grad sein muss. Deswegen zählen eigentlich nur die ersten 4.
Ein INTP verwendet also: Ti Ne Si Fe. (Welche Funktionen die anderen Typen nutzen, findest du hier)
Du siehst, es kommt drauf an, an welcher Stelle eine Funktion steht. Je weiter vorne, desto geübter ist man, je weiter hinten, desto ungeübter. Die erste Funktion ist dermaßen natürlich für einen, dass man sich oft schwer tut, sie bei sich selbst überhaupt wahrzunehmen. Die letzte Funktion ist patschert, kindisch, entweder ganz ein oder ganz aus – und man kann wenig dagegen tun. Ein bisschen trainieren schadet nicht, aber man wird gegen jemanden, der diese Funktion weiter oben im „stack“ hat, immer abloosen.
Ok, und wie schaut das jetzt im Detail aus?
Wie erkenn ich denn, ob ich Se an erster Stelle oder an dritter hab?
Hierzu gibts eine gute, kurze und knackige Übersicht darüber, wie die Funktionen sich an den verschiedensten Stellen zeigen:
Se und Si / Ne und Ni / Te und Ti / Fe und Fi
Was du auch sehen kannst: jeder Feeler verwendet auch eine Thinker-Funktion und umgekehrt. Auch jeder Sensor verwendet eine iNtuitive-Funktion (und umgekehrt). Es ist so sehr viel realitätsnaher und die nervigen Klischees und Vorurteile (Thinker sind eiskalte Rationalisten, Feeler sind irrationale Waschlappen etc.) können sich schnell brausen gehn.
Die Funktionen arbeiten natürlich auch stark miteinander. Wenn mein INTP-Freund Pizza bestellt, werden zuerst alle Möglichkeiten ausgelotet (Ne), um dann anhand von Analysen (Euro/cm² bei unterschiedlichen Pizzagrößen plus Onlinebewertungen, die nach lukullischer Glaubwürdigkeit gewichtet werden, was anhand von Nickname- und Reizwortanalyse passiert) das beste Preis/Leistungsverhältnis zu eruieren (Ti), schließlich fühlt er meinen extrem bösen ausgehungerten Blick im Nacken und bestellt mir zuliebe seufzend mit noch unausgegorener Analyse (Fe). Sein Si registriert, ob das letzte Mal mehr Pfefferoni drauf waren. (Und ich übertreibe nicht!)
Welche Funktionen nutzt du? Vermutlich hast du dich schon bei ein paar wiedergefunden. Vielleicht hilft dir auch diese Spielerei weiter: Die Funktionen gehen in einen Vergnügungspark.
Außerdem kannst du auch einen Test machen: cognitive functions quiz. Gibts nur auf Englisch, nimm dir ein Wörterbuch, wenn du dir bei einem Wort nicht 100% sicher bist, dass du weißt was es bedeutet.
Zusammenspiel zwischen Menschen
Es gibt da sehr viele Ansichten, teilweise auch ganz unterschiedliche. Eigentlich läuft es auf die beiden küchenpsychologischen Standard-Wahrheiten hinaus: a) Gleich und gleich gesellt sich gern / b) Gegensätze ziehen sich an
Es gibt Leute/Experten, die behaupten, je mehr Buchstaben man sich teilt, desto harmonischer ist die zwischenmenschliche Beziehung. ENFP und ENFJ zum Beispiel. Oder ISTP und ISFP. Wenn man aber in die Funktionen reingeht, ist die Ähnlichkeit schon wieder dahin: ENFP (Ne Fi Te Si) und ENFJ (Fe Ni Se Ti) haben überhaupt keine Gemeinsamkeit hier. ISTP (Ti Se Ni Fe) und ISFP (Fi Se Ni Te) schon mehr. Die selben Funktionen, nur in unterschiedlicher Anordnung teilen sich zum Beispiel ISTP, ESTP, INFJ und ENFJ.
Dann gibt es Leute/Experten, die der Meinung sind, N und S müssen gleich sein, aber die anderen Buchstaben idealerweise komplett „geflipped“. ESTP und ISFJ, INTP und ENFJ etc. Das Wichtigste sei die gemeinsame Basis als Sensor oder Intuitive, in den anderen „Buchstaben“ ist es aber gut, wenn man sich gegenseitig ausbalanciert.
Dann wieder andere sehen das perfekte „Paar“, wenn alles anders ist, weil jeder dem anderen geben kann, was er selbst nicht gut kann und somit zwei Hälften perfekt aufeinander passen. ISTP und ENFJ zum Beispiel. Da haben wir im Detail aber Ti Se Ni Fe und Fe Ni Se Ti – also wieder nix mit „komplette Gegensätze, die sich gegenseitig ausbalancieren“.
Eher, dass ENFJ seine niedrigeren zwei Funtionen gut trainieren kann, indem es Zeit mit dem ISTP verbringt und umgekehrt. Das wäre dann wieder der „Lernansatz“, dass man mit dem anderen Partner optimal wachsen kann.
Bist du jetzt verwirrt? Gut so. Denn du siehst, man kann nicht mal innerhalb des MBTI so einfach sagen, was jetzt (auf den ersten Blick) Gemeinsamkeiten sind und mit wem man sich vertragen wird. Und dazu kommt dann auch noch, dass das Zusammenspiel einerseits zwischen MBTI und dem persönlichen Hintergrund (Erfahrungen, Sozialisierung, Kultur, Zeit, Familie/Freunde …), andererseits innerhalb des MBTIs (unterschiedlich trainierte Funktionen, „ungesunde“ Versionen etc) so komplex ist, dass man einfach nicht fix voraussagen kann, mit wem man sich vertragen wird: Man kann von dem einen ENFP ur genervt sein, aber der andere ENFP ist seit Kindheit an der engste Freund. Man kann sogar Menschen mit dem selben MBTI wie man selbst einfach nicht mögen dafür mit vermeintlich „falschen“ MBTIs jahrzentelang glücklich befreundet oder verheiratet sein.
Ernsthaft, Leute: Tendenzen hin oder her, der Einzelfall entscheidet.
Wir sind alle viel mehr als nur der MBTI.
Andere Menschen analysieren
Generell ist es leichter, je besser man die Person kennt.
Was man als Außenstehender am meisten wahrnimmt, sind die externalisierten Funktionen. Die internalisierten laufen ja im Kopf drin ab. Wenn man also auf der Arbeit einen Kollegen hat, der ganz eindeutig und ständig Ne verwendet, kann man sich noch nicht sicher sein, dass das auch seine dominante Funktion ist. Internalisierte Funktionen passieren im Kopf drin und sind schwerer herauszufinden, sie äußern sich erst im täglichen, intimeren Umgang miteinander. Und manchmal äußern sich Funktionen im Alltag auch (vermeintlich) ähnlich (Si und Ni kann zB leicht verwechselt werden). Die unterschiedlichsten MBTIs können das selbe Hobby haben – warum sie das Hobby haben und wie sie damit umgehen ist ausschlaggebend für den MBTI.
Wenn ich andere Leute analysiere, geh ich sowohl von der „einfachen Buchstabenversion“, als auch von den in diesem Posting beschriebenen kognitiven Funktionen aus. Es sind ja einfach zwei Blickwinkel auf die selben Typen. Aber besser funktionierts schon mit den kognitiven Funktionen, bzw. sind die dann letztlich ausschlaggebend.
Mir persönlich hilft auch der Vergleich mit mir selbst und wie Menschen mit mir wechselwirken oder wir gegenseitig aufeinander reagieren und wo oft Missverständnisse oder auch blindtaubes Verstehen aufkommen.
Interessant wirds auch, wenn man beobachtet, welche Funktion am patschertsten angewendet wird – die kommt nämlich meist bei Stresssituationen zum Vorschein (viele Infos dazu im unten angeführten Buchtipp von Naomi Quenk).
Aufpassen muss man aber bei den vielen vielen Klischees, die im Netz kursieren. Der funkyMTBI-Blog korrigiert ständig Stereotype, also lesen und staunen und lernen 🙂
Trotzdem kann man verschiedene Typen durchaus an Lebensstil und Hobbies erkennen. Schau dir mal diese kurze Auflistung an.
Falls es dich aber beruhigt, ich hab noch nicht bei allen Menschen in meinem Umfeld herausgefunden, welcher MBTI sie sind. Teilweise hab ich sie auch einfach Tests machen lassen (vor allem damals wo das Thema noch ganz neu für mich war). Es gibt Leute, wo einen der Typ richtiggehend anspringt, und welche wo man sich nie 100% sicher ist. Es gibt auch nicht ganz so wenige Leute, die sich selbst falsch eingeschätzt haben und nach ein bisschen Lektüre draufkommen, Moment!
Da können, aber müssen keine Stereotype Schuld sein.
Vielleicht geht es dir aber bald genauso wie mir, dass du Menschen mit dem MBTI nicht nur besser verstehst, sondern sie auch besser wertschätzen kannst, für das was sie sind. Und das, was du bist, und du kannst.
Links
Du wirst es bemerkt haben, ich hab dazu einen Lieblingsblog: funky mbti fiction
Neben der kurzweiligen Analyse von Protagonisten in Filmen und Büchern werden viele Fragen zum Thema MBTI und kognitive Funktionen beantwortet. Klick dich auch mal durch die Navigationsleiste.
Es gibt natürlich auch ernsthaftere Lektüre irgendwo da draußen, aber ganz ehrlich: Dieser Blog macht so viel mehr Spaß.
Sehr lustig finde ich auch das Projekt hier: Wie die unterschiedlichen Typen in der Postapokalypse handeln. Natürlich (absichtlich) beinhart viele Klischees, aber genau das macht es ja so lustig zu lesen.
Nachtrag: Mittlerweile kann ich auch Bücher empfehlen:
Naomi Quenk: Was that really me? (Der Titel sagt es nicht, aber es geht darum, wie die MBTI-Typen mit Stress umgehen, wie sie aus Stresssituationen rausfinden und welche Arbeitsumgebung ihnen guttut. Enorm hilfreich, wenn du dir unsicher bei deinem Typ bist. Es ist fast gruselig wie die Sachen da drin stimmen… Und sehr hilfreich, um die einzelnen kognitiven Funktionen besser zu verstehen. Dieses Buch ist genial!)
Tieger & Barron-Tieger: Nurture by Nature (Der MBTI von Kindern, aber hilft auch beim Typisieren von anderen und mit dem Umgang mit anderen MBTI-Typen als deinem eigenen)
Und wer sich fragt, warum INFJs alle so geil auf MBTI sind – hier die Erklärung.
Na, alles klar? Oder doch zu viel Info auf einmal? Verrätst du mir deinen MBTI (sofern dus noch nicht getan hast)?