Ich hab vor 1-2 Jahren was entdeckt, von dem ich ziemlich begeistert bin. Es hilft mir, mich selbst und andere besser zu verstehen. Warum jemand etwas tut, das ich nicht nachvollziehen kann. Oder warum ich in ähnlichen Situationen andere Entscheidungen treffe, als andere.
Ich bin so begeistert von dieser Hilfestellung, dass ich sie dir weitergeben möchte!
Es geht um die Myers-Briggs-Persönlichkeitstypen bzw. den Myers-Briggs-TypeIndicator, abgekürzt mit MBTI.
Das ist ein psychologisches Typensystem, das auf den kognitiven Funktionen von Carl Gustav Jung beruht und im englischsprachigen Raum recht beliebt und bekannt ist, im deutschsprachigen Raum leider gar nicht. Eingesetzt wird es gerne in der Paartherapie und bei Teamzusammenstellungen.
Es gibt beim MBTI 16 Persönlichkeitstypen, die sich jeweils aus einem Buchstabenkürzel (4 Buchstaben) zusammensetzen. Die Buchstaben stehen für Eigenschaften, zum Beispiel extrovertiert oder introvertiert.
Es gibt 4 gegensätzliche Eigenschaftenpaare, die jeweils eine Skala bilden. Zum Beispiel eben Extravertiert – Introvertiert. Jeder Mensch findet sich irgendwo auf dieser Skala wieder.
Die Buchstaben
Extravertiert oder introvertiert: E oder I
Extravertierte beziehen ihre Energie von außen, zB aus sozialer Interaktion. Sie könnten nach einer Party noch ewig weiterfeiern, weil ihnen die anderen Menschen so viel Energie geben. Sie haben meistens einen sehr großen Freundes- und Bekanntenkreis. Ihre Gedanken können sie am Besten „laut“ und in Interaktion mit anderen ordnen.
Introvertierte beziehen ihre Energie von Innen, zB aus dem genüßlichen Alleinsein. Auch Introvertierte sind gern unter Menschen, aber es ermüdet sie. Ihre Batterien laden sie daher daheim auf der Couch oder mit einem Buch im Park auf. Sie haben meist einen eher kleinen, aber sehr beständigen und intimen Freundeskreis. Ihre Gedanken ordnen sie lieber im Kopf und teilen erst das Ergebnis laut mit. (Introvertiert heißt nicht, schüchtern! Schüchternheit ist die Angst vor sozialer Zurückweisung oder Demütigung. Es gibt auch schüchterne Extravertierte.)
Sensor oder iNtuitiver: S oder N
Sensors nehmen ihre Umwelt sehr genau wahr, kein Detail entgeht ihnen. Sie mögen konkrete und praktische Dinge.
iNtuitive (N, denn das I ist ja schon vergeben) mögen abstrakte, theoretische Dinge, Ideen und Konzepte, sie denken stark in Zusammenhängen.
Thinker oder Feeler: T oder F
Feeler beziehen in ihre Entscheidungen stark die eigenen Gefühle oder jene anderer Menschen mit ein bzw. in ihrem sozialen Umfeld allgemeingültige Moralvorstellungen. Zwischenmenschliche Beziehungen (auch auf der Arbeit) sehen sie gerne auf einer persönlicheren Basis. Das heißt aber nicht, dass sie gefühlsduselig oder irrational sind.
Thinker entscheiden zweckmäßiger und brauchen diese persönliche Basis nicht unbedingt (persönlicher Smalltalk mit Projektkollegen? Wozu?), mögen sie vielleicht auch nicht. Auch wenn sie viel besser darin sind, „harte“ Entscheidungen zu treffen, haben Thinker natürlich genauso Gefühle wie Feeler.
Perceiver oder Judger: P oder J
Perceiver sind sehr spontane Menschen und sie mögen es, wenn alle Möglichkeiten vor ihnen liegen.
Judger planen sehr gerne, sind meist gut organisiert und mögen es, wenn eine Entscheidung gefallen ist.
Die Buchstabenkombinationen
Jeder Mensch tendiert also in eine der beiden Richtungen, ist also eher Perceiver oder Judger. Dadurch kann er sich dann ein Buchstabenquartett geben:
E oder I
S oder N
T oder F
P oder J
Da kommen dann solche Typenbezeichnungen raus: ENTJ oder ISTP usw.
Manchmal bekommen diese Typen auch Namen, wie „der Entertainer“, unter denen man sich vielleicht mehr vorstellen kann, aber neutraler sind halt die Buchstaben.
Vermutlich kannst du dich und den einen oder anderen Mitmenschen da schon ein bisschen einordnen. Ich bin ein INFJ. (Links zu diversen Typenbeschreibungen findest du unten.)
Diese „Buchstaben“ sind nicht statisch, sondern interagieren miteinander. Zum Beispiel sind extrovertierte Thinker (ExTx) oft wesentlich weniger extrovertiert als ihre Feeler-Kollegen (ExFx). Umgekehrt sind introvertierte Feeler (IxFx) oft ebenfalls weniger introvertiert als Thinker (IxTx) – oder wirken auf andere weniger introvertiert. Oder: Ein N, das eher in anderen Gedankensphären schwebt als ein down to earth S, das seine Umwelt genauer wahrnimmt, pfuscht gern in die Ordnungsliebe von J rein (kann sich skurril äußern, zB eine permanent chaotische Küche inmitten einer fast penibel ordentlichen Wohnung – *hust*). Du wirst im Netz über noch mehr Beispiele stolpern.
Die größten Gemeinsamkeiten haben übrigens die NFs, NTs, SPs und SJs jeweils miteinander. Meist findet man in seinem Freundeskreis auch vermehrt Typen aus der eigenen Gruppe. Die wenigsten Gemeinsamkeiten dürften zwischen iNtuitives und Sensors bestehen, wenn man sich die persönlichen Erfahrungen von Laien und Experten im Netz so durchliest – einfach weil die Kommunikation schwer ist. Allerdings steh ich persönlich offenbar ziemlich auf ISFJs und es gibt auch viele funktionierende Ehen zwischen S und N – das mit den angeblich kompatiblen und inkompatbilen Typen (liest man viel im Netz drüber) ist in jedem Einzelfall wohl anders zu bewerten, auch wenn es Tendenzen gibt. Zwei Menschen gleichen MBTI-Typens teilen sich vielleicht Denkmuster, Motivationen hinter Handlungen und ähnliches, aber trotzdem sind wir alle ja mehr als nur diese 4 Buchstaben ;).
Was mir am MBTI so gefällt
Für mich sendet dieses MBTI-Zeugs zwei wichtige Messages aus:
1) Es ist gut so, wie du bist. Jeder Typ hat Stärken und Schwächen, gemeinsam ergänzen wir uns und wenn einer der Typen wegfallen würde, hätten wir auf diesem Planeten ein ziemliches Problem (oder halt mehr als wir eh schon haben).
2) Man kommt nicht aus seiner Haut raus. Diese „Buchstaben“ und ihre Ausprägungen sind angeboren. Natürlich kann man sein Verhalten anpassen und tut es situationsabhängig sowieso zu einem gewissen Grad, aber wenn man ein Leben gegen seinen Typ lebt, wird man krank. Deswegen ist es super, wenn wir uns selbst und andere besser verstehen – und daher uns selbst und andere so annehmen lernen, wie wir sind. Da gibt es gleich so viele zwischenmenschliche Probleme weniger (es hat schon einen Grund, warum die Amis das System in der Paartherapie anwenden!).
Ich hab zum Beispiel gelernt, dass ich in Wahrheit introvertiert bin (INFJ). Dadurch dass ich gern viel plapper und sehr leicht überall Anschluss finde, hat mich meine schüchterne Mutter (ISFJ) immer für eine Extravertierte gehalten. Ich habe auch immer versucht, extravertiert zu sein um dem Eindruck von anderen zu genügen, aber es hat nicht so wirklich geklappt. Ich hab immer gedacht, mit mir rennt was verkehrt, wenn ich mich immer schon so früh von Parties vertschüsst hab (meist unter dem Vorwand, müde zu sein) oder wenn ich anderen ihren großen Freundeskreis geneidet, aber selber nie einen hinbekommen hab. Als Introvertierte aber weiß ich jetzt, dass ich so sein darf. Dass ich tiefgehende, langjährige Freundschaften bevorzuge und verdammt nochmal keine Energie für einen riesigen Freundeskreis hab. Dass ich nach 4 Stunden Party „müde“ sein darf und daheim dann doch noch bis um 3 im Netz häng oder lese – es sind schließlich zwei verschiedene „müde“.
Ich versteh jetzt auch, dass meine Mutter als Sensor (ISFJ) einfach nicht anders kann, als ihre Reise in allen kleinsten Details vom Start bis zum Ende zu erzählen (ich als iNtuitive würde zuerst mal die Highlights erzählen und bei Nachfrage halt bestimmte Details. Zu viele Details ermüden mich). Oder dass mein Persiever-Vater (ESTP) eben nichts Erquickenderes findet, als einfach mal spontan am Wochenende die Haustüre zu versetzen (man kommt bei meinen Eltern jetzt durch einen anderen Raum ins Haus). Oder dass meiner ENFJ-Freundin allein daheim einfach wirklich die Decke auf den Kopf fällt, weil sie extravertiert ist und daher viele Menschen um sich braucht und auch viel Stimulation von außen, während ich mich auch stundenlang alleine „still beschäftigen“ kann (und will) und mich zu viel Stimulation von außen sogar überfordert.
Ich genieße jetzt Menschen umso mehr und muss immer leise und liebevoll lachen, wenn sie sich gemäß ihres MBTIs verhalten 😀
Ich persönlich finde es ja oft leichter, Menschen (sei es sich selbst oder andere) zu typisieren, wenn man mithilfe der kognitiven Funktionen ins Detail geht. Dazu mein Posting nächste Woche!
Links und Bücher
Tests
keirsey temperament sorter (geht auch auf Deutsch 🙂 wenn du nur einen machen willst, nimm den)
humanmetrics
16personalities
celebritytypes
Disclaimer: Tests sind für den ersten Eindruck. Das Ergebnis muss nicht stimmen, oft müssen noch 1-2 Buchstaben „umgedreht“ werden. Wenn du beim Lesen von deiner Typenbeschreibung das Gefühl hast, der erste Test hat den Kern noch nicht ganz erwischt: Lies mal die „Nachbar“-Typen (bei einem ENTJ zB ENTP, ESTJ, ENFJ etc.), du kannst auch die anderen Tests noch machen (evtl. auch öfter). Außerdem extrem hilfreich dabei wie gesagt: die kognitiven Funktionen im nächsten Posting.
Disclaimer2: Nimm dir für die englischen Tests ein Wörterbuch, wenn du dir bei einem Wort nicht 100% sicher bist, was es bedeutet!
Typenbeschreibungen
16personalities
personality junkie (hat auch einen Test)
alfredgessl.at/ (deutschsprachige, aber schon lange nicht mehr upgedatete Seite (und ein bisschen… retro) von einem MBTI-Laien. Ein bisschen verwirrend, weil andere Typenbezeichnungen verwendet werden. Aber: auf Deutsch und v.a. auch Beziehungen zwischen Typen (Eltern-Kind, Partner).)
Du findest weitere Beschreibungen, wenn du das jeweilige Buchstabenkürzel googelst
Foren
typology central
personality cafe
Bücher
David Keirsey: Please Understand Me II: Temperament, Character, Intelligence (nur engl. verfügbar)
David Keirsey: Versteh mich bitte (die deutsche Version von der veralteten Ausgabe vom oben genannten Buch)
Stefanie Stahl, Melanie Alt: So bin ich eben! Erkenne dich selbst und andere (unterhaltsame Einführung für Komplettneulinge, die sich noch nicht durchs Netz wühlen wollen. Gibts sicher auch in deiner Bibliothek!)
Was hältst du von dem Thema? Hast du schon davon gehört? Und ich bin ja so furchtbar neugierig: welcher Typ bist du?
PS: Hier gehts weiter zu Teil2!