Die Brauch es auf! Challenge (und das Kapital)

Jetzt, wo ich einerseits ziemlich ziemlich pleite bin (Monatsende, argl), andererseits ja meine Küche komplett renovieren und somit ausräumen muss, hab ich endlich auch die Motivation für die Brauch es auf! – Challenge, zu der Apfelmädchen und sadfsh in ihrem Blog aufgerufen haben.

Mein kleines Problem mit Vorräten hat sich zum Glück schon gelöst, aber es gibt trotzdem einiges zum Aufbrauchen, auch weil das Zeug ja nicht ewig hält und es teilweise schon sehr lange da rumsteht.

Angestaubtes Glas mit halben Kichererbsen – das Maskottchen meines Aufbrauchens, quasi

Aber eigentlich ist es gar nicht so schlecht bestellt um das Essenszeug für einen 1,5-Personenhaushalt. Es war sicherlich ein Vorteil, dass ich im Juli keinen Kopf zum Kochen gehabt hab und im August so selten daheim war.
Statt meiner Inventarsliste gibts jetzt lieber Überblicksfotos. Seht ihr, wie leer meine Vorratsgläser schon sind? 🙂 Die waren früher mal alle bummvoll.

Hier bekommt ihr auch einen Einblick in meine Retro-Küche, hier der original 70er Boden/Wand-Belag. (Mehr dann bei den Vorher/Nachher-Fotos. Noch ist die Sache mit dem Kostenvoranschlag und der Kücheneinrichtungsplanung am Laufen. Ab Mitte/Ende Semptember kommen dann die 3-4 Dreck&Staub-Wochen. Es wird ja einiges aufgestemmt und rausgerissen. Fürcht mich eh schon ein bissl.)

Viele Sachen sind wohl nicht so schwer aufzubrauchen zu sein. Die Kichererbsen verschwinden nach und nach in Curries. Bei Buchweizenmehl wirds schon schwieriger. Ich mach zwar manchmal Galettes (das sind Crêpes aus Buchweizenmehl, sind deftig gefüllt, aber mir schmeckts auch süß mit Obst und Ahornsirup), aber da geht nicht wirklich viel von dem Zeug weiter. Vielleicht werd ich Brownies machen mit halb Buchweizenmehl, halb Dinkel-Vollkornmehl? (Sollte ich schnell machen, bevor ich 3 Wochen lang keine Küche hab…) Wofür verwendet ihr denn Buchweizenmehl?
Und auch ein Sorgenkind: Weizengraspulver. Ich verwends bis jetzt für grüne Smoothies für Faule, aber ich mags nicht nur dafür verwenden. Ich probier mal, obs in Porridge schmeckt. Wofür verwendest du es denn?

Ich bin echt gespannt, wie weit ich es schaffe, die Sachen aufzubrauchen. Wie kreativ ich werde, um so wenig wie möglich neu zu kaufen. Der Startschuss ist heute und ich werde alles dokumentieren, was ich bis zum Beginn der Renovierung neu kaufen musste und was ich alles aufgebraucht hab. Es wäre irgendwie schön, mit der neuen Küche dann auch die Bevorratung neu zu beginnen.

Ja und dann muss ich noch was gestehen, was mir sehr peinlich ist. Ich hab jetzt besser verstanden, warum Menschen in westlichen Ländern dazu tendieren, Essen wegzuwerfen. Weil ich im Juni und Juli echt viel Essen weggeworfen hab 🙁 Ich war so gestresst mit dem Uniabschluss, dass ich keine Zeit/Nerven zum Kochen gehabt hab und viele Sachen einfach übersehen hab. In der extremen Hitze sind mir die Bananen auch sofort braun geworden. Normalerweise back ich dann damit Kuchen, aber so hab ich die Dinger teilweise büschelweise wegwerfen müssen. Ich versteh jetzt, dass gestresste Menschen, also Leute mit 40h-Job und Kindern zum Beispiel, einfach keinen Kopf für Aufbrauchen und Restlessen haben. Ich hab das auch nicht gehabt. Meine Kreativität war völlig von meiner Haupttätigkeit verbraucht, ich hab den Überblick über meine Vorräte verloren und alles, was nicht schnell zubereitet war, vergammelte.
Die Kombination aus wenig Geld und viel Stress hat bei mir auch dazu geführt, dass ich viele doppelt und dreifach plastikverpackte Sachen im Diskonter gekauft hab. Mit dem Rad zum Markt fahren war einfach nicht drin. Die vielen Plastikfolien und Bioplastikdoserln (vom Biobestellinder) im Mistkübel waren mir sogar ziemlich sehr wurscht. Meine Konzentration lag einfach woanders. Bei mir war das jetzt natürlich erstmal nur kurzzeitig. Aber für andere Leute ist das vielleicht dauerhaft. Ich denk da vor allem an Alleinerziehende. Man kommt nach einem 8-10 Stunden Tag erschöpft nach Hause, muss dann noch den Haushalt erledigen, Kochen, die Hausaufgaben von den Kindern kontrollieren, schauen was die nächsten Tage so ansteht, möchte vielleicht auch noch einen kleinen Funken Freizeit haben (aus Erschöpfung meist vorm Fernseher verbracht). Am Wochenende muss man sich um die Oma kümmern, mit den Kindern was unternehmen oder Mama/Papa-Taxi für sie spielen, ihnen beim Lernen helfen. Will sich vielleicht in der minimalen Zeit, die übrig bleibt, auch mal mit Freunden treffen. Kinder werden zu unpassendsten Zeiten krank oder bauen Mist (man darf unerwartet die Nacht im Krankenhaus verbringen). Der Chef macht Stress, das Projekt muss fertig werden, Überstunden. Wo bitte hat man da Geld, Zeit oder den Kopf, um sich Gedanken um Lebensmittelverschwendung zu machen, Müllvermeidung, DIY? Man kauft einmal die Woche Lebensmittel ein, das muss huschhusch gehen. Und natürlich wird bei so einem Einkaufsrhythmus mal was schlecht. Kind 1 bleibt spontan bei einem Freund zum Mittagessen, Kind 2 will plötzlich Lebensmittel X partout nicht mehr essen, man hat sich vertan oder im Stress zu viel gekauft. Im Tiefkühler vom Wocheneinkauf kein Platz, isst mans selbst wird man dick, also wegschmeißen.
Wer viel Stress hat im Leben, viele Unsicherheiten, sucht dann die Sicherheit auch in vielen Vorräten. Und da hat das Sicherheitsgefühl mehr Gewicht als das Risiko, ein paar Sachen wegwerfen zu müssen. Wer wenig Geld hat, hamstert bei Angeboten. Wer viele Vorräte hat, verliert den Überblick und kauft manches doppelt. Und auch so steigt das Risiko, dass was gammlig wird.
Lauter so Sachen.

Ich glaube, Nachhaltigkeit ist eine Sache von kulturellem und finanziellem und zeitlichem Kapital und das ist ja extrem ungleich verteilt. Wer kann sich Bio leisten? Wer hat das Wissen, wie man Ressourcen spart? Wer hat das Bewusstsein um die Endlichkeit der Ressourcen? Wer versteht tatsächlich, was das 2-Grad-Ziel bedeutet? (Für „Normalos“ klingen 2 Grad ja nach nix, es wird in den Medien ja die Bedeutung oft nicht kommuniziert) Wer hat die Zeit, Marmelade selbst einzukochen?

Naja. Jedenfalls brauche ich heute gleich mal die Cashews auf. Wer errät, was das hier wird?

Was sind deine Gedanken dazu?

materialfehler braucht auf (Kosmetik und Essen)

Hmm. Oktober vorbei… Es wird vielleicht Zeit für ein 3-Monats-Fazit!

Wie man hier nachlesen kann, ist es mir eigentlich unbegreiflich, wie ich es geschafft habe, so viel Kosmetikzeug anzuhäufen. Andererseits habe ich ja letzte Woche mein Leid zum Thema Vorräte geklagt.

Nach 3 Monaten optisch – 40%. Da geht doch was!

Ich wollte mich ja ein bisschen erziehen und mich zwingen, alles schön brav aufzubrauchen und nicht wieder alles verkaufen und verschenken, aber das hat nicht ganz geklappt. Es gibt doch Bereiche, wo stures Aufbrauchen einfach nicht sinnvoll ist:

* Haarbalsam. Meine Haare haben a) ein Überpflegungsproblem und b) enorm an Länge verloren, wodurch sogar in ihrer Leichtigkeit passende Spülungen obsolet wurden. Das sind vom oberen Bild 9 Flaschen, die verkauft und verschenkt wurden.

* Rohstoffe. Die halten ja auch nicht ewig und ich hab feststellen müssen, dass ich sowieso nur Seife siede (was max. jedes Jahr notwendig ist), Deocreme herstelle (dito) und ein gekauftes günstiges Feuchtigkeitsserum mit meinem liebsten Niacinamid pimpe. Da reicht zeitnahes Besorgen – es sind noch ein paar Flascherln und Pulverln übrig, die ich an die Pantscherin bringen muss, bevor sie gammlig werden.

* Haarseife. Die Tatsache, dass Seife durch Lagerung milder wird, beißt sich mit meinem Überpflegungsproblem. Zum Händewaschen sind die Seifen aber viel zu schade (viele teure Bioöle) bzw. für den Körper zu wenig pflegend, also hab ich sie lieber gegen Rohstoffkosten an Bekannte verkauft.

Jetzt bin ich immerhin auf einer Basis, wo ich wirklich (fast) alles selbst aufbrauchen kann.

Und ich hab jetzt hoffentlich endlich mal draus gelernt. Auch beim Futter. Da hab ich jetzt leider keine Vorher/Nachher-Bilder für euch, aber ich habe mittlerweile die

  • 6 Nudelsorten auf 2 (Normalo-Spaghetti und Vollkorn-Penne) 
  • 3 Mehlsorten auf 1 (Vollkorndinkelmehl)
  • 4 Zuckersachen auf 2 (brauner Zucker und Ahornsirup) usw. 

reduzieren können.
Ironischerweise ist meine Lust auf Kochen direkt proportional mit dem leerer Werden der Küche gestiegen haha! Ich habe mittlerweile sogar nach über 7 Jahren unregelmäßigen Bezugs meine Gemüsekiste (die im Link ist die von der Luni) gekündigt, weil mir das Konzept leider doch zu viel ist und mir aus Überforderung immer wieder was gammlig geworden ist (hab ja eh 2 Biomärkte ums Eck).
Ich bin guter Dinge, dass ichs jetzt geschnallt hab und auch in diesem Bereich endlich zur Ruhe komme.

Mein Aufbrauchziel für Kosmetik sieht übrigens so aus:

1-2 Schampoos, 1 Gesichtsreiniger, 1 Gesichtscreme (abgebildet sind die drei „Zutaten“), 1 Deo(creme), 1 Körperbutter, Zahnpasta, Haarseife, Körper/Handseife. Ein kleiner Seifenvorrat und ein paar Rohstoffreste sind ja unumgänglich, aber das im Bild wäre also insgesamt das Zeug, was ich auch jetzt tatsächlich verwende.

Sollte daher eigentlich automatisch zu erreichen sein. Ich finds ja immer noch absurd, dass ich so eine Sammlung produziert hab, wo ich doch eigentlich so wirklich keine Kosmetik-Tante bin.

Zum Glück sind Kosmetik und Essen die einzigen Bereiche, wo sich bei mir was unerwünscht ansammelt. Welche sind das bei dir?

Vorräte und Ausmisten tanzen im Kreis

Ich: Hallo, ich heiße materialfehler und habe ein kleines Problem mit Vorräten.
Gruppe: Hallo, materialfehler!

Ich habs ja schon seit einigen Jahren mit dem Minimalismus, und vorher eigentlich auch schon. Da gibts viele Gründe, zum Beispiel meine Überforderung mit zu viel Auswahl (hirnblubb vorm Marmeladenregal stehen) oder dass ich einfach gern viel Platz hab.

In regelmäßigen Abständen bilde ich mir jedoch ein, dass Vorräte mein Leben vereinfachen.

  • Durch Vorräte muss ich weniger oft einkaufen gehen.
  • Wenn ich bei jedem Einkauf zusätzlich Zeugs kaufe, das nicht am Zettel steht, lässt sich dieses Problem auch reduzieren, indem man die Zahl der Einkäufe reduziert.
  • Größere Packungen sind nachhaltiger.
  • Ich habe einen Speisekammernfetisch. Hübsche Aufbewahrungsgläser mit Nudeln, Mehl, Getreide, eingemachtem Obst und Gemüse, Marmelade, Hülsenfrüchte, Kekse, Nüsse, Kräuter, Tee, Gewürze, …
  • der -10% Gutschein vom dm zahlt sich bei einem großen Einkauf natürlich so richtig aus (ich kauf dort hauptsächlich Lebensmittel)
  • Unterschwellige, etwas irrationale Sorge, dass ich als Innenstadtkind, das noch nicht mal einen Balkon hat, bei einem Zusammenbruch der Wirtschaft gleich als erste verhunger (Danke liebe panikmachende Autarkie-Seiten im Netz!). Nicht lachen!

Das Ergebnis sind dann 2kg Haferflocken, 2kg Hirse und 2kg Buchweizen in einem 1,5 Personenhaushalt, in dem die halbe Person a) nicht frühstückt und b) meinen Frühstücksgatsch voll abartig findet – und wo die ganze Person in letzter Zeit dann doch viel lieber Vollkorntoast mit Mandelmus und Bananenscheiben oder mit Bohnenaufstrich und Paprikastreifen zum Frühstück isst.
Oder: braunen Zucker, Birkenzucker, Stevia, Ahornsirup, Agavensirup und Honig. In einem Haushalt, wo fast nie gebacken wird und auch sonst irgendwie kein Zuckerzeug verbraucht wird. Von meinen roten Linsen, Berglinsen, schwarzen Linsen, Kichererbsen ganz, Kichererbsen halbiert, Käferbohnen, Kidneybohnen möchte ich eigentlich lieber schweigen. Zumal mein Appetit sich sowieso nie nach den Einweichzeiten richten will und ich dann erst wieder mit halbverhungertem starren Blick kurz vor Ladenschluss mit Dosenkichererbsen bei der Kassa steh.
Bei Kosmetik ist es ähnlich. Experimente und Prozente und realitätsferner Enthusiasmus. Zwei Haushalte zu haben ist da auch nicht hilfreich (der Moment wenn du beim Freund das Badezimmerkastl aufmachst, um *schielt nach links* *schielt nach rechts* eine von deinen gehamsterten Flaschen dort reinzustellen, weil du geglaubt hast, da ist nix mehr und feststellst: verdammte Scheiße, warum hab ich hier FÜNF HALBVOLLE SCHAMPOOS STEHEN?!).

Wie du siehst, gibts da ein kleines Problem im Vorratsschrank-Realitäts-Kontinuum.
Ich fühle mich von zu viel Vorräten dann wieder erdrückt und irgendwie gelähmt. Und schon geht das fröhliche verkaufen, an Freunde verteilen und im Haus aussetzen wieder von vorne los. Und das spart mir echt kein Geld, obwohl das eine der ursprünglichen Intentionen war…

Das läuft dann immer so ab:

  • Zeug nervt. Ausmisten. Verschenken.
  • Ruhe genießen.
  • eingebildete Sparsamkeit: Hamstern.
  • mit Genuss Vorratsschrank einräumen
  • zunehmende Unruhe
  • nervt
  • ausmisten
  • Ruhe.
  • Angst vorm totalen Atomkrieg
  • hamstern
  • Vorratsschrank bestaunen
  • Überforderung
  • NERVT

Gehts dir auch so? Oder hast du ein anderes dreckiges Minimalistengeheimnis?

Vom Optimierungswahn

Iss keinen Zucker! Iss keine Milchprodukte! Iss Milchprodukte! Iss kein Getreide! Iss viel Vollkorn! Iss keine Hülsenfrüchte! Iss Hülsenfrüchte! Iss kein Fleisch! Iss viel Fleisch! Iss roh! Iss gekocht!

Es gibt zig Ernährungsreligionen, äh ich meine -Konzepte, die sich im Grunde alle irgendwo widersprechen, die sich alle ihre Rosinen aus den wissenschaftlichen Studien picken und die alle quasi ewiges Glück und Weltfrieden versprechen.

Meine 94jährige Oma hat mir heute erzählt, wie sie und ihre Familie in der Besatzungszeit von den Russen Erbsen und Bohnen bekommen haben, die sie erst mal zwischen die Doppelfenster legen mussten, damit die Würmer rauskriechen.

Irgendwie rückt das meine Perspektive wieder zurecht.

Ich werde auch das Gefühl nicht los, dass dieses Herumgebastle an der Ernährung, das hypochondrische Vermuten von Unverträglichkeiten bei jedem Wehwehchen in Wahrheit nur eine riesige Industrie füttert. Und der Begriff Brot und Spiele kommt mir in den Sinn.
Die Leistungsgesellschaft macht auch vor unserer Privatsphäre nicht Halt und überwuchert uns mit ihrem Druck, auch in unserer Freizeit, in unseren Beziehungen, in unserer Ernährung, unseren Hobbies perfekt zu funktionieren. Systembedingte Probleme (nicht immer sind das rein medizinische Probleme!) wie chronische Müdigkeit, Depressionen und Burnout werden zu gerne auf Einzelpersonen geschoben. Du bist ständig müde? Vertragst bestimmt den Weizen nicht.

Auch Die Zeit hat sich in ihrer Ausgabe von 21. November dem Thema (eingebildete) Nahrungsunverträglichkeiten gewidmet, deren Leitartikel kannst du hier oder in der Printausgabe, die in deiner Bibliothek bestimmt aufliegt, nachlesen.

Besser, schneller, gesünder, fitter, früher, länger, gescheiter, höher, weiter… Verlierst du dich auch manchmal im allgegenwärtigen Optimierungswahn? Welche Bereiche sind es bei dir? Und was bringt dich wieder auf den Boden, rückt deine Perspektive wieder zurecht?

Disclaimer: Es gibt Menschen, die mehr oder weniger große gesundheitliche Probleme durch eines dieser vielen Ernährungskonzepte unter Kontrolle gebracht haben. Diese mögen sich bitte ausgeklammert fühlen.

Ich habe manchmal eine Weizenwampe.

Als tendenzvegane Vegetarierin mit Sojaallergie greift Madame Materialfehler gerne auf Fleischersatz auf Weizenglutenbasis zurück und wird meist mit einem Kugelbauch belohnt (glaubwürdiges sechstes Schwangerschaftsmonat). Vielleicht hat Weizen auch mit der öfter vorkommenden dämmrigen Dösigkeit und so manchen Konzentrationsproblemen zu tun. Glutensensitiv bin ich laut Bluttest allerdings nicht.
Warum der Weizen das mit mir macht, wollte ich herausfinden und habe nun auch dem Onlinehype folgend „Weizenwampe“ von William Davis gelesen.
Mein Gesamteindruck von diesem Buch ist jedoch nicht so euphorisch wie viele Berichte im Netz – aus folgenden Gründen:

Es gibt Widersprüche und Argumentationslücken
Zuerst schreibt der Autor bzw. der Übersetzer, das Problem sei in Deutschland nicht so gravierend, da neben Weizen auch Roggen, Dinkel und Hafer gegessen wird. Später betont er, alles was für Weizen gelte, gelte für alles glutenhaltige Getreide. Äh, ja, was jetzt?
In den 1950ern waren alle Menschen schlank, steht da. Der Autor meint, das läge daran, dass damals noch kein Frankensteinweizen gegessen wurde. Dezent ignoriert wird u.a. die Tatsache, dass damals die Alltagsbewegung selbst für Schreibtischbeamte enorm war – ein paar Schlagworte: kaum/keine Haushaltsgeräte, keine Fertigprodukte (Blätterteig selbstgemacht!), kein Fernseher, kaum Autos. Meine Mutter ist 65, meine Großmutter 94, sie sind beide in bürgerlichen Familien in der Wiener Innenstadt aufgewachsen und ihre Erzählungen handeln von Waschrumpeln, unzähligen Stunden die in der Küche verbracht wurden, unglaublich schwere Rosshaarmatratzen die alle zwei Wochen gewendet werden mussten, alles wurde selbst gemacht (stricken, nähen, kochen, flicken), getrunken wurde nur Leitungswasser, wer Musik wollte musste sie selbst machen, Süßigkeiten gabs nur am Wochenende und Stubenhocken war verpönt.
Die zitierte China Study zeigt, dass Weizen zu Zivilisationskrankheiten führt, Hirse und Reis aber nicht. Trotzdem wird gleich jedes Getreide verteufelt, die Argumentationsgrundlage des Autors (Studien usw) bezieht sich aber nur auf (industrielle) glutenhaltige Getreidesorten.
Milch- und Milchprodukte sind ebenfalls dafür bekannt, (in größeren Mengen) zu Zivilisationskrankheiten zu führen. Vielleicht nicht in dem Ausmaß, wie die China Study das feststellen wollte, trotzdem müsste der Autor seiner Argumentationslinie folgend  („wenn es so viele Menschen gibt, die Gluten nicht vertragen, ist es vermutlich für keinen Menschen gesund“) auch vom Milchkonsum abraten (3/4 der Weltbevölkerung ist von Natur aus laktoseintolerant), was er aber nicht tut – was aber auch ein Themenproblem ist (wie weit kann er von seinem Weizenthema abschweifen?).

Der Autor schert alle Menschen über einen Kamm
Er schreibt hauptsächlich von kranken Menschen. Diabetiker und Schizophrenieerkrankte. Adipöse Menschen und Neurodermitiker. Zöliakie und Autismus. „Extreme“ Fälle verlangen oft nach „extremen“ Behandlungen. Warum aber Weizen auch für gesunde Durchschnittsmenschen nicht so klug sein kann, kam für mich aus dem Buch nicht wirklich heraus. Menschen sind individuell und so sollte auch ihre Ernährung sein. Vollwerternährung mit all ihrem Getreide funktioniert ja schließlich auch bei vielen Menschen gut, bei anderen wiederum gar nicht.

Es kommt wieder einmal das Paläoargument…
Das Paläoargument. Wir sind immer noch die Steinzeitmenschen wie vor 20.000 Jahren und sollten uns daher auch so ernähren. Oh Mann! Nur weil uns noch keine Teleskoparme gewachsen sind, heißt das nicht, dass die Evolution in den letzten 50.000 Jahren pausiert hat! Oder wie erklärt er sich die Tatsache, dass vor 5-7.000 Jahren plötzlich bestimmte milchwirtschaftende Völker Laktose bis ins hohe Alter verdauen konnten (obwohl das Säugetiere nach dem Abstillen nicht mehr können)? Eine Tatsache, die der gute Mann übrigens dem Leser dezent unterschlägt. Klar, als vor 10.000 Jahren der Ackerbau eingeführt wurde, war das offensichtlich nicht das Beste – nach der Eiszeit ist die Megafauna (die riesigen Viecher) ausgestorben und dann wurde es eng in der Speisekammer. Freiwillig aus Langeweile wurde jedenfalls nicht mit Ackerbau experimentiert. Die Menschen sind plötzlich kleiner geworden, immer ein schlechtes Zeichen, und früher gestorben (kann aber auch an der Sesshaftigkeit in großen Gruppen mitsamt Nutztieren gelegen haben, Stichwort Epidemien). Aber ob sich der Mensch in der Zwischenzeit an die veränderte Nahrung vielleicht doch gewöhnt haben könnte, so wie sich unsere Vorfahren an Fleisch gewöhnt haben (Zähne, Darmlänge), das wird dezent verschwiegen (und ich weiß es auch nicht). Ein Erfolgsrezept des Menschen ist jedoch definitiv, dass er mit so ziemlich jedem Futter überleben kann, von den Inuit die fast nur Tiere essen bis zu rein vegetarischen Regenwaldvölkern ist alles drin: Obst, Gemüse, Fleisch, Fisch, Insekten, Getreide mit und ohne Gluten.

Der Autor kommt vom Hundertsten ins Tausendste
Zuerst ist es nur der Weizen, der problematisch ist. Dann doch alles mit Gluten. Und schließlich plötzlich doch eigentlich das gesamte Getreide. Im Endeffekt empfiehlt der Autor nicht, wie man es erwarten sollte, eine glutenfreie, sondern eine low carb Ernährung. Die, wie man weiß, nicht bei jedem Menschen (dauerhaft) funktioniert.

Mich stören generell diese ernährungstechnischen Verheißungen. Egal ob Paleo, Vollwert, Vegan, Rohkost, die traditionelle Ernährung der eigenen Kultur oder andere Formen – Ernährung wird für meinen Geschmack ein bisschen zu oft zur Religion: Ernährweise XY sei die einzig wahre, man müsse sich nur akribisch an die Regeln halten, um ewige Jugend, Gesundheit und Glück zu erlangen. Wenn man Probleme durch die Ernährung bekommt, macht man etwas falsch. Argumentiert wird meist mit der menschlichen Enwicklungsgeschichte und „der Natur“, wissenschaftliche Studien werden oft zugunsten der Ernährungsweise ausgelegt, Widersprüchliches dezent ignoriert.
Ja, auch bei diesem Buch habe ich stellenweise einen religiösen Eindruck bekommen.

Natürlich finde ich das Buch nicht durchwegs schlecht (ich versuche nur, mich kurz zu fassen). Überzüchtungen in unseren Nahrungsmitteln sind auch ganz ohne Gentechnik ein Problemfeld, dem noch viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dieses Buch wurde nicht von irgendeinem Journalisten geschrieben, sondern von einem Arzt, der mit seiner Erkenntnis schon vielen Menschen helfen konnte. Besonders Menschen mit hohem Blutdruck, Prädiabetes und ähnlichen Problemen können von den Informationen stark profitieren. Obwohl ein populärwissenschaftliches Werk, ist es voll mit fundierten wissenschaftlichen Informationen zu z.B. Blutwerten.
Ich bin auch der Meinung, dass die industrielle Landwirtschaft sich keinesfalls in eine gute Richtung bewegt, und dass unsere verkorkste Ernährung Mitschuld an vielen unserer Probleme ist.
Der Mann ist Internist und weiß, wovon er schreibt. Vielleicht ist es wegen seiner polemischen Schreibweise, dass ich seine Aussagen mehr hinterfrage als glaube.

Ich persönlich habe aus dem Buch nicht besonders viel mitnehmen können. Die meisten Probleme, die angesprochen werden, sind komplette Krankheitsbilder und treffen auf mich nicht zu (Zöliakie, Diabetes, Adipositas, Schizophrenie usw). Meine Frage, warum Weizen auch für gesunde, schlanke Menschen ein Problem sein kann, wurde für mich nicht ausreichend beantwortet.

Man darf bei der Lektüre nicht vergessen, wie komplex das alles ist. Es gibt nicht die eine böse Ursache. Viele der im Buch beschriebenen Probleme und Symptome können auch von anderen Dingen (andere Lebensmittel, andere Unverträglichkeiten, Umweltgifte, Psychosoziales, Medikamente wie die Pille, …) mitverursacht werden und tun das im Normalfall auch.

Soll man also das Buch nun lesen oder nicht? 
Ich tendiere zu „nicht notwendig“. Man kann es ruhig so machen wie Lunalesca und einfach an sich selbst testen, ob man sich ohne Weizen, ohne glutenhaltiges Getreide oder überhaupt ohne Getreide besser fühlt. Wer aber eine Argumentationsgrundlage benötigt, um Leute zu überreden, Weizenverzicht zum Wohle ihrer Gesundheit zu testen, dem sei ein Kauf vermutlich angeraten.